CAFÉ ROMA München / Mein Nachruf
 

 
Neujahrs-Dienstag 01.01.2008, das Jahr beginnt für mich mit einem Beerdigungsmarsch in die Maximilianstraße. Nach 73 Jahren muß dieses Traditions- Café schließen. Die BAYERISCHE VERSICHERUNGSKAMMER ausgerechnet und das italienische GUCCI- Imperium haben den Tod dieses Caféhaus- Juwels beschlossen. Sie wissen vielleicht nicht wirklich, was sie tun, aber es muß sich wohl für beide Seiten rechnen. Ein Sieg des Geldes über die örtliche Magie, über eine Institution, ausgerechnet auf der Flaniermeile der "Reichen". Es wäre sicher zuviel erwartet, dem Begriff BAYERISCH im Zusammenspiel mit VERSICHERUNGSKAMMER noch eine Verantwortung gegenüber einer Tradition abzuverlangen, der noch etwas Verpflichtendes anhaften sollte, an diesem magischen Ort, an dieser schicksalhaften Ecke. Da muß der konservativ bayerische Löwe aber tief geschlafen haben, oder einfach nur so fett geschmiert worden sein, daß er so derart das Maul hält. Kein Brüllen, kein Kampf. Einfach nur eine beschlossene Sache und aus. Dieses Geschäft muß sich einfach auch für jeden gerechnet haben, der diesen Mord hätte verhindern können. Ein bayerischer Meuchelmord eben, so zwingend wahrscheinlich, wie der herbeigeführte Abgang Ludwig des Zweiten zu Wittelsbacher Zeiten. Es war nicht irgendein Café, und es ist nicht irgendein Platz nur gewesen. Mir war das ROMA mein Meditationszentrum, mein Mittelpunkt der Welt. Am liebsten draußen, auf der Terrasse ziemlich an der Ecke, direkt unter meiner Laterne, nahe der Straße, näher dem Boulevard, da, wo die Geräusche sich zu einer meditativen klanglichen Einheit verbinden. Der Redefluß und die Gesprächsfetzen der Reichen, der Schönen oder derjenigen, die dies zu sein wünschen oder nur vorgeben, es zu sein, die Schauspieler, die Popgrößen, die Prostituierten und Heiratsschwindler, die Edelnutten, nach der Partie des Lebens suchend, nach einem abgesicherten Lebensabend strebend, manche schon früh, manche vielleicht zu spät. Medienleute, Schleimscheißer, Journalisten, Bankiers, Beobachter, Genießer und sich beobachten lassen wollende Männer und Frauen. Bekokste Unternehmer, Schriftsteller, Kotzbrocken und Charismaten, Pornodarsteller, Selbstdarsteller und immer wieder ich, der alles hätte sein können, und von dem man nicht viel wußte. Der Takt der Motoren, die hier mein Reich passierten, bot mir genau das gedrosselte Temperament der untersten Drehzahlbereiche, die meiner geistigen Versenkung so zuträglich waren. Möglichst von niemandem hier angequatscht werden, das war mir das Gebot zumindest der morgendlich bis mittäglichen Stunden, zumindest während der sonnigen Jahreszeiten zwischen hervorragend cremigem Cappuccino, einem gelegentlichen Martini und einem Stück Torte, dessen Wahl ich meist dem Kellner überließ. Meditation pur – Inspiration total. Hier unter der Laterne ließ sich nicht nur Kraft und Energie schöpfen für die Erledigung des alltäglichen Scheißdrecks, der so ansteht, hier ließ es sich visionieren und texten. Hier verfaßte ich meine besten Drohbriefe, skizzierte ich die treffsichersten Schmähreden, oder ließ mir vom hellblauen Himmel herab einfach nur die göttliche Sonne ins Gemüt strahlen, bei gleichzeitigen Anti-Establishment- Visionen, ausgerechnet auf diesem Boulevard, oder gerade deshalb hier. Momente des Erfülltseins, Ewigkeiten im Bruchteil von Sekunden, im Bewußtsein, hier zu Hause zu sein. Und die Kellner und Kellnerinnen, fast ausnahmslos die besten Vertreter ihres Fachs. Wer hier an Trinkgeld sparen wollte, den müßten die Götter einfach strafen, mit plötzlichem Geldentzug oder dem Tod, oder schlimmer noch, mit einem Lebenspartner aus der Angebotspalette an Heiratsschwindlern und lauernden Societyladies, die hier ihrer Berufung harrten. Nicht wenigen schienen die Götter hier das Strafgericht in Form ihres Lebenspartners tatsächlich serviert zu haben. Zum Ort der Begegnung wurde mir das ROMA meist erst im Dämmern des Abends, im Dunkel der Nacht, dann nicht mehr nur unter meiner Laterne, sondern immer dort, wo mir ein Platz als Gefechtsstand gerade wie gerufen kam. Ich glaube, im ROMA die interessantesten Menschen getroffen zu haben, die München und das Schicksal einem nur zuspielen konnten. Am abenteuerlichsten die Nächte, als man vom damals noch gegenüber gelegenen SCHUMANNS in Sekundenschnelle die Straßenseite wechseln konnte und zwischen ROMA und SCHUMANNS eine magische Beziehung bestand, die in besonders heißen Sommernächten die Funken von hier nach dort zu trugen schien. Wenn die SCHUMANNS- Bar zu vorgerückter Stunde erwachte, dann bildete sie mit dem ROMA schon bald eine magisch-gastronomische Einheit, und diese leuchtende Einheit, die von der Maximilianstraße zwar getrennt erschien, aber nie durchschnitten wirkte, markierte mit ihren bescheidenen Grün- und Freiflächen das Ende der Luxusmeile und irgendwie auch das Ende der Welt. Was über der Kreuzung hinaus in Richtung Landtag lag, das gehörte schon wieder einem anderen Universum Münchens an, das war dann wieder reine, hübsche Architektur, der man sich als forschender Tourist hingeben durfte. Der Umzug der SCHUMANNS- Bar, mag der Anfang vom Ende auch des ROMA gewesen sein. Als dieser Platz unter SCHUMANNS Namen und Regentschaft verloren ging, muß der Geist des ROMA seinen Lebenswillen mit verloren haben. Auch, wenn die Besitzer dieser beiden magischen Kraftplätze sich nicht grün waren, die Orte an sich liebten sich, bedurften einander und befruchteten sich insgeheim so vortrefflich wie glücklich. Und jeder, der vom geheimen Liebespiel dieser Lokalitäten wußte oder nur ahnte, ward bereichert fürs Leben. Die Episoden, die wir hier und dort erlebten, wie Filmszenen eines expressionistischen Rauschs, bisweilen so skurril, so unglaublich und wenn auch bisweilen völlig kaputt und dekadent, dann doch wenigstens hervorragend besetzt mit Spielern, Verlieren, Gewinnern, wie nur das Leben selbst sie an den Ort des Geschehens ruft. Ein paar herrliche Sommer lang nur durfte ich im Funkenregen dieses Spannungsbogens wandelnd, das Geschehen tief erlebend mitgenießen. Venus und Mars waren hier gleichermaßen zu Hause, das machte diese Ecke so spannend. Das Raubtierbewußtsein des Mannes, von Barkeepern mit alchemistischem Gespür für die Dosierung des Elixiers meisterhaft zur Entfaltung gebracht. Erwartungsvolle Frauenaugen, hin und hergerissen zwischen der herrschenden Vernunft ihres akademischen Bildungsniveaus und der Bereitschaft zu kapitulieren. Uninteressant dagegen, sich mit den Gewerblichen zu beschäftigen – Zeitverschwendung. Kein Geist, keine Magie und erst recht kein Abenteuer. Oder was glaubt so ein Nüttchen, das mich für reich hält, mit was sie es zu tun hat, wenn sie mich anquatscht. Sie weiß nicht, daß mein zweiter FIREMANS SOUR mir schon die Augen geöffnet hat für alle menschlichen Abgründe der Welt. Sie weiß nicht, daß ich hier zwar angetrunken, aber genauso hellsichtig wie wahrhaftig ihren armseligen kleinen Wunsch nur in ihr brennen sehe, bereichert zu werden – nichts weiter nur, als mit einem Geldsegen bereichert zu werden. Und ich weiß, wie sinnlos es wäre, ihr zu erklären, daß es doch gerade Gold und Silber regnet über die Maximilianstraße hinweg, zwischen ROMA und SCHUMANNS, zum Begreifen nahe. Gold und Silber in transzendenter Reinheit – aber sie würde nichts sehen, sie würde nicht verstehen, weil sie kein Abenteuer sucht, nur bereichernde Währung, oder den langweiligen Mann ihres Lebens, oder einen satten Stundenlohn. Ich kann ihr dazu nicht verhelfen, und es ist schon spät. Sie würde auch das Gold in einem 100%igen Malt-Whisky beispielsweise als solches nie wahrnehmen. Und die echte Erkenntnis dessen, was hier in der Luft liegt, zwischen SCHUMANNS- Bar und Café ROMA, die würde sie ja vernichten, aus dem Takt ihres Lebens werfen, in dem sich doch alles irgendwie rechnen muß. Der blonde Gigolo indes, der im Türrahmen stehend an etwas Portweinmäßigem nippt, blickt durchs Leere geduldig gen ROMA, wo die Gazellen von auswärts sich erst ein wenig in Stimmung schwipsen, bevor sie ins SCHUMANNS übersetzen, um dann von Raubtierblicken, Platzhirschen und alteingesessenen majestätischen Löwen als Wildbrett erkannt zu werden. Herrlich und im Detail nicht mehr zu beschreiben, weil man das alles erlebt haben muß, als Beobachter, als Jäger oder herzlich willkommenes Wild. Ja, Mars und Venus liebten diese beiden Ecken der Maximilianstraße. Und die Opfer, die ihnen hier dargebracht wurden, wie nirgendwo anders auf dieser einst göttlichen Meile, ließen die Götter immer wieder gnädig sein mit Suchern und Gesuchten. Es war ein herrliches Raubtiergehege. Unvergeßlich auch die gleichfalls lebensnahen und temperamentvollen Gewaltausbrüche hier und da, weil auch dieser marsianische Aspekt seinen Anspruch erhob. Und jetzt? SCHUMANNS, ROMA – beides tot. Ende der Welt. Die BAR MÜNCHEN am alten Standort des SCHUMANNS erweckt immer noch Hoffnung, hier könnte sich wieder etwas entwickeln. Das Potential, wieder ein magischer Ort zu werden, ist gegeben. Man muß die Bar reifen lassen. Vielversprechendes liegt in der Luft, das man sich entwickeln lassen muß. Aber das Fehlen des magischen Gegenübers, das schwarze Loch, das dort künftig klafft, egal, wieviel Leuchtreklame GUCCI auffahren wird, bedeutet einen magischen Anziehungsverlust. Die BAR MÜNCHEN muß nun ihr Witwerdasein überwinden und erneut vom Standpunkt eines einsamen, mit Potentialen gesegneten Geheimtips aus eigenster Kraft zu strahlen beginnen. Die Raumatmosphäre allein (die auch unter Schumanns Regentschaft erhebliches zum Erfolg beitrug), ist schon der halbe Sieg. Wohin noch? Doch nicht ins BRENNERS, wo irgendwelche Mehrheiten sich ersatzbefriedigen lassen und mir bei jedem erneuten Versuch den Eindruck erwecken, als Massenflüchtlinge in einer Bahnhofshalle auf einen sehr verspäteten Zug zu warten. Keine Bahnhofshalle, aber wie ein ehrwürdiges, monumentales Mausoleum erscheint mir bisweilen der neue SCHUMANNS Standort. Ehrfurcht vor etwas Unbekanntem will sich hier einstellen, aber es ist keine Kathedrale, kein Tempel für den unbekannten Gott, sondern eine Bar, eine immer noch vortreffliche, aber die Magie des alten Standortes hält dort nicht Einzug. Die Flirtfunken können von dort nicht mehr überspringen, wie noch in der Maximilianstraße. Die zwischenmenschliche Elektrizität ist hier eine andere. Die Stammkundenverlagerung von hier nach dort allein macht noch nicht die Aura. Im Sommer mache ich einen erneuten Versuch. Zurück in die Maximilianstraße, von wo man behaupten kann, daß dort ein heiliges Reservat zerstört und die heißeste Pulsader lahm gelegt wurde. Was tun? Wohin? Kein morgendlicher Gottesdienst mehr unter meiner Laterne, kein Cappuccino mehr, der nach einem offenen blauen Himmel verlangt. Nein, nicht an Erderwärmungen geht die Welt zugrunde, liebe Freunde, sondern dadurch, daß Plätze wie das Café ROMA von einem auf den andern Monat einfach verschwinden können, dadurch, daß man dem Herz einer Stadt die Seele entzieht, und die Seele einer Stadt (das müssen auch die trockensten Konservativen einmal begreifen lernen) muß nicht immer nur im denkmalgeschützten Bezirk einer Stadt liegen. Manchmal soll sie auch dort zu finden sein, wo das Leben pulsiert, und damit meine ich keineswegs ein Oktoberfest oder das Käfers- Zelt. Tiefer atmet die urbane Seele dort, wo Patina und Leben sich vereinen. Das kann ein Gasthaus sein, mit dem gleichen knarzenden Holzboden wie vor hundert Jahren, eine unabhängige Bäckerei, in der ich noch echtes Brot bekomme, ein Metzgereibetrieb, der keiner Filialen bedarf, ein Traditions-Café, das seine Tapeten nicht wechselt oder ein Schreibwarenladen, in dem ich noch einen Vorrat an Schreibmaschinenbändern für eine mechanische Schreibmaschine bekomme. Man muß deswegen kein Nostalgist sein, man muß einfach nur Authentizität und Qualität zu schätzen wissen, statt sich, wie das übrige Massenvieh, mit Billigangeboten oder einem Prestigezwang zu Luxusmarken verarschen zu lassen. Was München speziell noch den Rest gibt, das ist die Invasion all der beschissenen amerikanischen Coffeeshop- Filialen, die nur noch an die Masse appellieren. Das Kaffeegebräu mag ja vielleicht sogar schmecken und seinen Zweck erfüllen, als geschmackvoller Mensch aber betrete ich so einen Scheißladen nur im äußersten Notfall. Der gemeinsame Nenner solcher Sachen wie San Francisco- Coffeeshop, Starbucks, Mc Donalds, CSU, CDU, SPD, GRÜNE, MTV, Pappbecher, Billigangebote, Sparpreise, Merkel, Stoiber, Pauschalurlaub oder ein Truppentransport nach Afghanistan ist die DEMOKRATIE, die all das möglich macht. In meinem Reich wäre das Café ROMA nie untergegangen. Aber hier und heute, wo die Freiheit immer mehr zur Willkürherrschaft von geschmacklosen Eliten verkommt, und eine einstmals freie Marktwirtschaft in Firmen-Ketten endet, wieviel individuelle Vielfalt kann in solch einer Atmosphäre noch gedeihen? Einen Wertekonservativismus predigen und auf direkter Linie mit dem bayerischen Landtag eine über 70- jährige echte Begegnungsstätte gegen einen GUCCI- Flagstore eintauschen, aber Paris HILTON ihren mitgebrachten Prosecco im Oktoberfest-Bierzelt unter strengsten Auflagen verbieten, das ist die bayerische Geschichtsschreibung von heute. Dabei könnte Paris HILTON in ihrer Eigenschaft als amerikanischer Ausdruck des glamourösen Nichts doch glatt das neue MÜNCHNER KINDL darstellen. Warum? Weil sie mit allem, was sie darstellt, ein treffenderes Sinnbild und Wappentier abgibt als MÜNCHNER KINDL und BAYERISCHER LÖWE zusammen. Das Ende des ROMA symbolisiert nicht nur den Untergang einer Epoche, sondern auch den Niedergang des guten Geschmacksempfindens. Wo gestern noch die Geschmacklichkeit regierte, oder ein Wertempfinden für das wirklich Besondere, da steht heute die ebenso schnelle wie leichte Verdaulichkeit im Vordergrund. Das Rosamunde Pilcher- Prinzip, das jetzt auch von jungen Regisseuren gnadenlos in Anspruch genommen wird. Eine seltsame Dialektik, daß bei soviel zur Anwendung kommenden ARRI- FILMPRÄZISIONSTECHNIK und höchstauflösender Bildschirmqualität ausgerechnet das TRAUMSCHIFF so hohe Wellen schlägt, statt wie es sich für eine ordentliche Apokalypse gehört, TITANIC- like unterzugehen. ROSAMUNDE PILCHER- DEMOKRATIE, ROSAMUNDE PILCHER- MARKTWIRTSCHAFT, ROSAMUNDE PILCHER- SICHERHEITSSYSTEMATIK. Wo selbst gestandene Schauspieler sich in solche Blaupausen- Drehbücher hineinzwingen lassen, da ist die Welt zuende. Da muß man sich ernsthaft fragen, mit welchen Argumenten man den Selbstmörder am Brückengeländer noch zum Verweilen überzeugen kann, und ob man sich ihm nicht besser gleich anschließt. Wo ist das Asylantenheim des Guten Geschmacks? Wohin hat sich das echt Lebens- und Liebenswerte zurückgezogen? Macht es noch Sinn, überhaupt aufrecht zu gehen, wenn der Starbucks- Pappbecher die Metropolen zu beherrschen und edles Porzellan zu verdrängen sucht. In so eine Scheißwelt setze ich doch keine Kinder, könnte man sagen. Ja, wenn es nur die Klimakatastrophen, die Aidsviren, die schwelenden Bürgerkriege, die Lebensmittelvergiftungen und der Raubtierkapitalismus wären, das würde man dem Nachwuchs noch irgendwie zumuten können, aber Kaffee aus dem Pappbecher und die freie Auswahl aus einer Palette massenkompatibler Scheiße für alle Bereiche des Lebens und der Kultur, das ist zuviel des vermeintlich "Guten".
 
JK Neujahr 2008

 
Eine musikalische Würdigung muß diesem Nachruf noch folgen. In Arbeit befindet sich der "CAFÉ ROMA MEMORIAL MARCH", der dann öffentlich und exklusiv auf www.myspace.com/vonthronstahlfansite zu hören sein wird. Ein imperialer Trauermarsch, den man sich mit einem Glas guten Whiskey sicher besser verständlich macht, als durch nüchternes Sinnieren.